Herbst in Kyoto

Nach gut zwei Wochen Tokyo und dem aufregenden Wochenende in Seoul hatte ich mir ein wenig Entspannung und Kontemplation verdient und darum bin ich nach Kyoto gefahren, der Stadt die über 1000 Jahre kaiserliche Residenz war, etwa so groß wie Berlin ist aber nur ca. 1,5 Mio. Einwohner hat. Kyoto hatte dass Glück dass ein gewisser Henry L. Stimson die Stadt während seiner Flitterwochen besuchte. Er war 1945 Kriegsminister der USA und sorgte dafür dass die Stadt nicht bombardiert wurde und so einiges an alten Bauten, Schreinen, Tempeln erhalten ist. Die Anreise von Tokyo war die Gelegenheit endlich einmal mit dem Shinkansen, dem vermutlich besten, pünktlichsten und zuverlässigsten Zug der Welt zu fahren. 550 km in knapp zweieinhalb Stunden. Die durchschnittliche Verspätung eines Shinkansen beträgt 6 Sekunden. Alle Züge zusammen – und das sind einige, allein auf der Strecke Tokyo-Kyoto fährt ca. alle 15 Minuten ein Zug – haben pro Tag eine addierte Verspätung von unter 5 Minuten. Dazu geräumig, bequem und das Personal dazu ist aufmerksam und freundlich. Und ich habs versaut. Ich habe etwas getan, wonach jeder Japaner vermutlich noch im Zug rituellen Selbstmord begangen hätte. Ich habe meinen halbvollen Starbucks-Venti-Kaffeebecher umgeschmissen. Unglaubliche Sauerei. Es lief unter dem Vordersitz durch, denn natürlich ist ein Shinkansen nicht mit versifftem Nadelfilz ausgeschlagen sondern mit pflegeleichtem Kunststoff. Ich hatte ein Handtuch griffbereit und konnte die grösste Sauerei beseitigen und meine japanischen Mitreisenden haben einfach so getan als wäre ich nicht da aber ich konnte es ihnen ansehen, nie war ihr Glaube an ihre kulturelle Überlegenheit grösser als in diesem Moment. Die Tage in Kyoto habe ich dann tatsächlich hauptsächlich mit  Wanderungen durch die Stadt und Besichtigung der wichtigsten Parks, Schreine und Tempel verbracht. Abends im Hostel traf ich Tanja und Patric, die beiden sind seit gut sieben Monaten unterwegs, von Zürich auf dem Landweg bis nach Japan, ihren spannenden Blog findet sich hier. Und weil der Abend so nett war, haben wir den nächsten Tag auch gemeinsam verbracht und sind nach Nara gefahren, unweit von Kyoto und neben dem größten Holzgebäude der Welt dafür bekannt dass in der ganzen Stadt tausende mehr oder minder zahme Rehe herumlaufen, die von hauptsächlich chinesischen Touristen mit Keksen gefüttert werden. Da die Rehe aber scheinbar nicht zwischen Chinesen und dem Rest unterscheiden können, wird man ständig um Kekse angebettelt. Alternativ und wenn man nicht aufpasst, fressen die Biester auch schonmal einen Stadtplan. Wir aber erfreuten uns an prächtig herbstlichen japanischen Gärten und daran dass Ausländer hier dafür keinen Eintritt bezahlen müssen. Und nachdem wir zu Abend wieder einmal unglaublich guten Ramen hatten, liessen wir den Tag mit Bier und Sake am Flussufer ausklingen. So dachten wir. Bis sich Herr Tanaka und Herr Hiro zu uns gesellten, zwei schon leicht derangiert wirkende japanische Salarymen, die leidlich Englisch sprachen.

10347560_10205096597240100_7084244369350058236_nKaum sassen sie bei uns, schickte der Ältere den Jüngeren los, Snacks und Getränke holen. Der lief auch prompt los und kam wieder mit einer breiten Auswahl an Knabbereien, seltsam riechenden Gammelfleisch-am-Stiel das in jedem asiatischen Späti vorn an der Kasse in heissem Wasser steht und vor sich hin verwest. Genauso schmeckt es auch. Zum Glück hatte er auch diverse Tetrapacks mit Sake dabei und damit kriegt man ja bekanntlich alles runter. Und nachdem wir ein paar Dutzend mal auf die Völkerfreundschaft angestossen haben, verabschiedeten sich die beiden und nach ein paar Gruppenselfies wankten auch wir zurück ins Hostel.

 

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